"Tokio Hotel mit Halbpension in Oberhausen
Oberhausen. Bill & Co. bringen beim Auftakt ihrer Europa-Tournee in Oberhausen 13 000 Fans zum Kreischen. Und das, obwohl Tokio Hotel nur Dienst nach Vorschrift leistet - mit zwei Stunden Verspätung.
Sie hätten zum Vokabeltest aufrufen oder rückwärts singen können. Sie hätten ihr Konzert statt mit zwei (!), mit fünf Stunden Verspätung beginnen können. Die 13 000 Fans in der Oberhausener König-Pilsener-Arena hätten trotzdem gekreischt, was die jungen Kehlen hergeben. Natürlich jenseits verträglicher Dezibelwerte. Tokio Hotel, der musikalische Exportschlager, genießt in seiner Fangemeinde längst uneingeschränkte Narrenfreiheit. Wie der Auftakt zur Europa-Tournee am Freitagabend belegte.
Ruhig war es hierzulande um die einstigen Allesabräumer aus Magdeburg geworden. Gut für jene halbe Bevölkerung, die ohnehin vor jedwedem Monsun reflexartig in Deckung gegangen ist. Schlecht für die andere Hälfte, die mittlerweile – wie die Gruppenmitglieder selbst – volljährig sind und somit zum alten Eisen unter den Anhängern gehören. Nun meldeten sich Bill und Co. zurück, in Oberhausen, mit einer neuen spektakulären Show. Eine, die mitreißt in eine abgedrehte Sphäre: in die „Humanoid City“, wie die Tour offiziell heißt.
Mit einem imposanten, apokalyptischen Bühnenbild punktete die Band noch vor dem ersten Ton. Eine Sci-Fi-Welt mit einem ufo-ähnlichen Käfig, aus dem Sänger Bill, eingehüllt in einen schwarzen Lederanzug und, man höre und staune, männlicher Langhaarfrisur, „Komm“ anklingen lässt. Die Menge kreischt. Weint vor Glück, winkt rhythmisch mit bunten Leuchtstäben. In der ersten Reihe hyperventilieren die, die seit Tagen nahe der Arena zelten und schon seit 24 Stunden auf den Beinen sind. Es scheint ihnen zu gefallen.
Tokio Hotel konzentrierte sich am Freitag vornehmlich auf ihre Stärke: die Musik. Nur ein einziges Mal lässt Bill Kaulitz seine Verehrerinnen in sein Herz blicken. „Endlich wieder zuhause“, raunt der Frontsänger da ins Mikro. Es klang glaubwürdig, authentisch, mit einer gestillten Sehnsucht in der Stimme. Endlich wieder in Deutschland.
Nach 90 Minuten ist Schluss
Als Motivationsspritze schien die Rückkehr in die Heimat aber nicht zu wirken. Tokio Hotel rockte die Arena zwar mit den neuen Hits „Automatisch“, „Zoom“ oder „Humanoid“, brillierte aber mit den Ohrwürmern ihres Karrierestarts („Durch den Monsun&ldquo. Das gewisse Etwas aber fehlte an diesem Abend – trotz teils spektakulärer Effekte und Requisiten. Vielleicht, weil schon nach 90 Minuten der Konfettiregen das Konzertende besiegelte. Irgendwie schmeckte das wie Halbpension im Fünf-Sterne-Hotel. Irgendetwas fehlte.
Sei es drum: Wer gut im Geschäft ist – und das ist Tokio Hotel mit über sechs Millionen verkauften Tonträgern zweifellos –, darf, nein, muss mal was riskieren. Grenzen ausloten, sie hier und da mal überschreiten. Aber keine Vorgruppe ins Rennen zu schicken – kritisch. Das Konzert mit zweistündiger Verspätung zu beginnen – ein Affront, zumal viele weibliche Fans schon 24 Stunden vor dem regulären Beginn im Regen vor der Arena bibberten. Und das eine von zwei Heimspielen nach nur 90 Minuten für beendet zu erklären – eine Watsche ins Gesicht für all diejenigen, die ihr Taschengeld (ab 30 Euro pro Karte) investierten. Die Reaktion der Zielgruppe aber war erwartet anders. Sie kreischte. Und feierte Tokio Hotel."
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0 Response to "derwesten.de - 27.02.2010"
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